Wirtschaft und Gesellschaft

Das Verbieten verbieten!

Der bekannte Finanzwissenschaftler Otmar Issing hat sich jüngst zu „Markt und Staat in Zeiten der Pandemie“ geäußert und dabei die Funktionsfähigkeit des Marktes gerühmt, dem es innerhalb weniger Wochen gelungen ist, sich auf die neue Situation einzustellen, etwa  den Mangel an Masken. „Zahlreiche Firmen stellten ihre Produktion um. Statt Hemden oder anderen Textilien wurden Masken produziert. Selbst eine große Anzahl Privater trug dazu bei, das Angebot zu erhöhen. Die Entwicklung eines Impfstoffes gegen das neue Virus muss man zu den eindrucksvollsten Beweisen für die Leistungsfähigkeit des Marktes zählen. Wer hätte schon damit gerechnet, dass dieser Erfolg derart rasch gelingen könne?“ Und dann registriert Issing noch: „Kaum hat der Markt seine Leistungsfähigkeit bewiesen, kommt die Forderung, den Impfstoff zum ‚öffentlichen Gut‘ zu erklären“ und die „Pandemiegewinner“ zu besteuern. All das in „bewährter Manier durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten“.[1]

Das Handelsblatt vom 21. 1. 2021 bezeichnet das Auftreten der türkisch-stämmigen Ugur Sahin und Özlem Türkeci, die den Impfstoff gegen Covid 19 weltweit als Erste kreierten, als „grandioses Beispiel für gelungene Integration und Erfindungsgeist.“ Und Unternehmergeist muss man hinzufügen. Sie sind herausragendes Beispiel einer Elite, die sich durch freiwillige Übernahme von Verpflichtungen auszeichnet, unter Risiko handelt und sich Gefahren aussetzt - einer Unternehmer-Elite also, die stets um gesellschaftliche Akzeptanz zu kämpfen hatte, so sehr man sie auch braucht, speziell wenn es um die Schaffung neuer Arbeitsplätze geht.

Ihre begabtesten Antagonisten sind - wie ich sie in Anlehnung an Ortega y Gasset bezeichnen möchte – die Zufriedenen Jungen Herrn . . .  und Damen (nicht zu vergessen), eine Spezies, die vom Speck der Zivilisation lebt und sich um die Konsequenz ihres Handelns nicht schert. Die Arbeit tun die Anderen ist ihr Motto, wie das der Soziologe Helmut Schelsky in seinem gleichnamigen Buch [2]  aus dem Jahre 1975 feststellt, dem er den Untertitel gibt: Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen.  Sie, die Zufriedenen, gebärden sich als „Sinnproduzenten und Sinnvermittler, als Reflexionseliten“, die die neue Herrschaft praktizieren: „Belehrung, Betreuung und Beplanung“.

Unter den Grünen, die ihren Ursprung bekanntlich unter den 68ern haben, sind diese Zufriedenen und Selbstgefälligen zu suchen. Es geht ihnen finanziell gut, meist besser als den als „Champagner-Anhänger“ apostrophierten Wählern der FDP. Da man sich gegen Atomkraftwerke und für Klimarettung engagiert, interessiert man sich fürs Kleingedruckte nicht mehr. Die Orientierung an Autoritäten diskreditiert, und tradierte Werte werden ungeachtet ihrer Bedeutung diffamiert. Man arbeitet an der Abschaffung des Kapitalismus, der Zerstörung der Kleinfamilie und zu Gunsten freier Sexualität. [3]

Bevorzugt nisten sich die Zufriedenen ein in manchen Medien, vorzüglich in den öffentlich-rechtlichen.

„Wenn heute in den öffentlich-rechtlichen Medien über 70 Prozent Grüne oder Linke tätig sind, dann muss  es auch Personalchefs gegeben haben, die die ausgesucht haben“, fragt Andreas Lombard, Chefredakteur von CATO[4], Hans-Georg Maassen, den entlassenen Präsidenten des Bundesamtes für  Verfassungsschutz und Mitglied der konservativen Werteunion in der CDU. „Die Achtundsechziger mit ihrem Marsch durch die Institutionen müssen willkommen gewesen sein, sehr willkommen.“

„Ja, das ist naheliegend“, antwortet Maassen. „Schon in den fünfziger Jahren waren die östlichen Nachrichtendienste klar darauf ausgerichtet, die Medien im Westen zu infiltrieren . . . Konrad Adenauer hatte schon in den fünfziger Jahren den Eindruck, dass die ARD immer weiter nach links rutscht, und hat auch deswegen die Gründung des ZDF betrieben. Helmut Kohl hat in den siebziger und achtziger Jahren gesehen, dass der gesamte öffentlich-rechtliche Rundfunk unausgewogen berichtete und links geworden war und hat auch deswegen auf private Medien, insbesondere auf die von Leo Kirch, gesetzt. Ich würde sagen, der erfolgreiche Marsch der Linken durch die Institutionen fing mit der Gründung der Bundesrepublik an und nicht erst 1968. Aber 1968 bekam die Sache einen weiteren Schub. Jetzt gingen die Linken bewusst in die Medien, auch getarnt, und waren bereit, Kreide zu fressen.  Andererseits zogen sich auch viele Bürgerliche aus den Medien zurück. Es war ein bestimmtes Milieu, das die Journalistenschulen durchlief, und so kam eins zum anderen. Linke stiegen auf und wuchsen nach, Bürgerliche blieben weg. So mussten dann auch bürgerliche Medien auf das Personal zurückgreifen, das die Journalistenschulen anboten, und das waren linke Journalisten. Wie gesagt, 92 Prozent der Nachwuchsjournalisten der ARD sehen sich als Sympathisanten der Grünen, der SED-Nachfolger und der SPD.“

Das also die Einschätzung des ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten, die er nicht aus der Luft gegriffen, sondern kraft seiner Erfahrungen gewonnen hat.

Diese Haltung der Zufriedenen Jungen Herren und . . . wohlgemerkt: der Damen kommt aller Orten zum Tragen: vorzüglich in Talk-Shows, in der nie ein Handwerksmeister sitzt, sondern gerne Celebrities eingeladen werden, und wenn dann mal ein Opponent des Main Streams auf einem Stuhl Platz nehmen darf, dann um ein Opfer zu haben, an dem der Talk  Master oder Mistress und ihre Claqeure ihren Unmut am Kapitalismus (meist  in das Wort Neo-Liberalismus verpackt) abreagieren können. Oder ihre Ablehnung des Unternehmers, der „nur am Profit interessiert ist“ (aber als Bösewichte tragende Rollen in Fernsehkrimis übernehmen darf, meist als Bau-Unternehmer, der Jaguar fährt). Oder  ihren unbeherrschbaren Trieb, alle sozialen Vorgänge beplanen zu wollen, ausleben, was ja ein Symptom ihrer kommunistisch-zentralverwaltungswirtschaftlichen Grundüberzeugung ist – und aus der der Mehltau der Bürokratie wächst.

Talk-Master und –Mistress haben es auf „Schlagabtausch und Skandalisierung angelegt. Je mehr einer die Nerven verliert, umso höher sind die Einschaltquoten. Das kann dazu führen, dass ein Teilnehmer sein eigenes Denken verrät, weil man ihm systematisch ins Wort fällt und widerspricht.“ Dieses Statement entnehme ich einem Interview, das Jürg Altwegg mit dem Philosophen Alain Finkielkraut jüngst geführt hat, der es inzwischen ablehnt, an Diskussionssendungen teilzunehmen.[5]

Gern bedienen sich der/die Zufriedene beim Verständlichmachen seiner/ihrer Ziele der Wieselworte, also der Worte, unter denen sich jeder etwas anderes vorstellen kann. Soziale Gerechtigkeit ist so ein Wieselwort. -  Die Soziale Marktwirtschaft Erhard’schen Typs ist zu einem Beutebegriff geworden. Jeder verwendet den Begriff, wie es ihm gerade passt, sogar Politiker der Linken, selbst unsere Bundeskanzlerin, die eine Metamorphose durchgemacht hat, da sie doch ein halbes Jahr vor der Wende noch den in der DDR praktizierten Sozialismus propagierte.

Veggie Day? Dieser Anspruch ist in den Hintergrund getreten. Inzwischen fordert ein führender Grüner, den Bau von Einfamilienhäuser einzuschränken, negierend, dass die eigenen vier Wände für viele Menschen ein Lebenstraum sind (My home is my castle). Dämmen, dämmen – ist das nächste Postulat, dämmen bis die Wände schwitzen. Davon hat nur einer was, die Firma ISOVER, eine der marktbeherrschenden Firmen für Dämmmaterial. Dabei ist die „Dämmorgie katastrophal“, wie der in Klimafragen führende Architekt feststellt und eine massive Begrünung der Städte fordert.[6]

Die Fürsorge der Reflexionseliten ist all-umgreifend. Wenn etwas auf Anhieb nicht klappt, heißt es sofort: Marktversagen! Und der nächste Sinnvermittler steht schon parat. Wobei sich doch jeder vor Augen halten müsste, dass das Wirtschaftsleben aus Versuch und Irrtum besteht: Überlegen, Einschätzen, Sondieren, Vortasten, Marktforschung, Null-Serie, Prototyp und so weiter.

Putin als Autokrat und Diktatoren setzen Angst als Herrschaftsinstrument ein. Ebenso die  selbsternannten  Klimaretter, von denen mir noch keiner erklärt hat, warum es Warmzeiten schon vor dem Industriezeitalter gab. Maximal zwei Grad Plus, das ist eine Ersatzreligion geworden.

Alles wird über einen Kamm geschoren. Alles muss gleich sein – wie in Utopia von Thomas Morus, Utopia, das auf Deutsch  „Nicht-Ort“ heißt, eine Insel, die es nicht gibt. „In der Ideologie Utopias ist die Gleichheit ein noch höheres Gut als das Glück der Menschen: die gleichen Städte, die gleiche Kleidung, die gleichen Häuser, die gleichen Einkommen, die gleichen Arbeitszeiten und sogar die gleichen Berufe. Das Leben in Utopia muss von einer tödlichen Langeweile gewesen sein“, stellt der populäre Philosoph Luciano De Crescenzo in seinem Buch Und sie bewegt sich doch[7] fest.

Im Kapitel Galileo Galilei, der vor dem kirchlichen Tribunal zwar abgeschworen hatte, kurz vor seinem Tode aber doch noch seine feste Überzeugung Und sie bewegt sich doch aushauchte, erinnert De Crescenzo daran, dass es die Kirche damals nicht gern sah, wenn einer eine Brille trug. „Denn der  Herr unser Gott hat uns  Augen gegeben, damit wir das sehen, was wir sehen müssen. Alles andere haben wir durch die Augen des Glaubens zu betrachten“, erklärte die Hohe Geistlichkeit.

Flugs sind wir damit, die Aufklärung überspringend, im politischen Geschäft des 21. Jahrhunderts, in dem wir auch fortwährend gemahnt werden, was wir tun dürfen und was nicht. Wir werden in Gute und Böse aufgeteilt, fast schon mit der Macht wie in der rot-chinesischen Diktatur, in der es Bonus-Punkte für gesellschaftliches Wohlverhalten gibt – und Abzüge, wenn es dem Großen Bruder nicht gefällt. (Übrigens blendend thematisiert in der ansonsten oft eher flachen Krimi-Serie Wilsberg am 20. 2. 2021 im ZDF).

Aber wer will jenen Damen und Herren, die ihre Meinungsmacht zelebrieren und  jeden Tag eine neue Minorität finden, denen sie helfen, die Majorität zu majorisieren, das Handwerk legen? Principiis obsta! ist längst vorbei.

Wir befinden uns im kapitalistischen Semi-Sozialismus, wie Peter Sloterdijk konstatiert. Befördert durch die Zufriedenen Jungen Herrn und Damen. Der Mensch, das verwöhnte Tier, ihm ist’s unwohl mit seinem Wohlstand, jedenfalls wird ihm das täglich von selbsternannten „Mängelanwärtern“ suggeriert, die „Übung im professionellen Klagen haben“ und den „Kinder-Bürgern“, zu denen auch sie uns gemacht haben, sagen, sie mögen sich mit ihrem Umsorgtsein nicht abfinden, sondern immer mehr Umsorgung fordern.[8]

Belehren, umsorgen, beplanen, verbieten. Das ist das Mantra der Zufriedenen Jungen                    Herrn und Damen, die von einem Herrscher- und Siegesgefühl durchdrungen, selbstzufrieden und nicht geneigt sind, Autoritäten neben sich anzuerkennen. Man ist Zyniker, Schmarotzer der Zivilisation, von der man lebt, obgleich man sie verneint, weil man weiß, dass sie ihn, den Zufriedenen Jungen Herrn . . . wohlgemerkt: auch die Damen nicht im Stich lassen wird.[9]

Dr. Axel Glöggler

 

[1] FAZ vom 25. Januar 2021, S. 17

[2] Westdeutscher Verlag, Opladen

[3] Vgl. auch Klaus Schroeder, Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin, der in der FAS vom 22. August 2004 das Buch von Sophie Dannenberg Das bleiche Herz der Revolution vorstellt.

[4] CATO, Magazin für neue Sachlichkeit, Nr. 1, 20021, S. 27 ff.

[5] FAZ vom 12. 2. 2021, S. 13

[6] Vgl. FAZ vom 17. Februar 2021, S. 9

[7] Luciano De Crescenzo, Und sie bewegt sich doch. Die Anfänge modernen Denkens, München, 2004, S. 79

[8] Interview von René Scheu in: Neue Zürcher Zeitung, veröffentlicht 9. 2. 2021 unter dem Titel: Mehr Freiheit oder mehr Zwang – Hand aufs Herz: wie hältst du’s mit deinem Staat?

[9] Nach Ortega y Gasset, Der Aufstand der Massen,  Stuttgart, 1930/1962, vgl. auch Axel Glöggler, Unternehmer – Verkannte Elite? Von der Kleptokratie zur Meritokratie, Hildesheim-Zürich-New York, 2009, Kapital I, S. 19 ff.

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