Politik und Geschichte

Der Gelben Gefahr wehren!

Im bevölkerungsreichsten Land der Erde, im Land der Mitte, treffen wir in manchem auf ein Spiegelbild unserer westlichen Zivilisation: Chinesen schreiben in Bild- statt in Lautzeichen, von rechts nach links und vertikal statt horizontal; ihre Bücher hören da auf, wo unsere anfangen. Sie tragen weiß als Trauerfarbe statt schwarz; unterteilen den Tag in zwölf statt vierundzwanzig Stunden; setzen den Ehrengast auf die linke statt auf die rechte Seite; ergreifen zur Begrüßung die eigene Hand statt die Hand des anderen; der chinesische Kompass zeigt nach Süden. Und – Chinesen stehen nicht auf der Erde, sondern unter dem Himmel.

Zweiundzwanzig Dynastien verzeichnet die kaiserlich-chinesische Geschichte, die etwa 2300 Jahre vor unserer Zeitrechnung ihren Ausgang nahm, also zu Zeiten der biblischen Sintflut, der Zeit von Noah, dem Retter menschlichen und tierischen Lebens.

Unbestritten ist, dass das Erstgeburtsrecht einer Vielzahl entscheidender wissenschaftlicher Entdeckungen nicht den Europäern, sondern den Chinesen zusteht. Trotzdem begann um die Mitte des zweiten Jahrtausends n. Chr., als Europa Scholastik, Humanismus, Renaissance und – später – die Aufklärung kennenlernte, der Abstieg des Reichs der Mitte. Die Völker und Zivilisationen des Zeitalters der Entdeckungen und des Merkantilismus hatten keine oder nur geringe diplomatische und wirtschaftliche Erfolge mit diesem auf sich bezogenen Reich. So konnten sie auch nicht befruchtend wirken. Das Selbstverständnis des chinesischen Kaiserhauses kannte keine Gleichrangigkeit ausländischer Mächte.

Das chinesische Kaiserhaus musste seiner Starrheit Tribut zollen. 1895 besiegte Japan China, das Jahr 1905 verzeichnete den Boxeraufstand, der als Vorbote des Zusammenbruchs der Feudalaristokratie gewertet wird. Mit Recht, denn mit ihm zerbrach das chinesische Selbstbewusstsein, das erst wiedererweckt wurde durch den vielleicht bedeutendsten chinesischen Staatstheoretiker der Neuzeit, Sun Yatsen (1866 – 1925), den Begründer der Kuomintang, der seine Staatsphilosophie in drei Losungen kleidete : Wiederbelebung des chinesischen Staatsbewusstseins, Souveränität des Volkes und Wohlstand für alle.

Das war ein Konzept, auf das sich auch der Pragmatiker Deng Xiaoping  besinnen sollte, als er im Dezember 1978 die Führung der Partei übernahm und an sein Volk die Forderung richtete: Werdet reich!

Welche Erfolge Deng mit der von ihm eingeleiteten Sozialistischen Marktwirtschaft erreicht hat, ist bekannt. 1980 lebte der weit überwiegende Teil der Chinesen in extremer Armut. Heute dürfte diese  Quote bei  ein Prozent liegen. „Niemals in der Geschichte sind in so kurzer Zeit so viele Menschen bitterer Armut entkommen“, konstatiert der Wirtschaftshistoriker Rainer Zitelmann und berichtet über einen Besuch von Nobelpreisträger Milton Friedman – einen der Granden des Wirtschaftsliberalismus - in China im Jahre 1980, über den er danach schrieb, dass er (Friedman) die Chance für ein Wirtschaftswunder sähe, „ähnlich wie es Japan und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hatten. Mir (Zitelmann) ist kein Ökonom bekannt, der damals schon so klar die Chancen von China sah.“ Chinas Wirtschaftswunder zeige, so Zitelmann, dass, „wie Friedman das stets gepredigt hat, mehr Privateigentum und mehr Markt zu mehr Wohlstand für die Menschen führen.“

Das Center for Economic and Business Research (CEBR) geht davon aus, dass China bereits 2028 das BIP der USA eingeholt haben wird. Die durch die Pandemie ausgelösten Rückschritte, von denen nahezu alle westlichen Länder stark betroffen wurden, hat es aufgrund diktatorischer Maßnahmen deutlich besser als diese gemeistert. Das nährt in der Staatsführung, der von 88 Prozent der Bevölkerung Führungsstärke attestiert wird, das Gefühl der Überlegenheit. Und die wird ausgespielt.

Staatschef Xi Jinping, vom neuen US-Präsidenten Joe Biden im Wahlkampf als „Gangster“ tituliert, wirbt auf dem Davoser Weltwirtschaftsforum für Multilateralismus, betreibt „Maskendiplomatie“ und „Impfstoffdiplomatie“, bietet also Entwicklungsländern seine Impfstoffe an und baut damit seine soft power aus. [„ Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete ihr der Wolf. Rotkäppchen aber wusste nicht, was das für ein böses Tier war. . . Der Wolf dachte bei sich: ‘Das junge zarte Ding, das ist ein zarter Bissen‘“ . . .  Die Fortsetzung des Grimm‘schen Märchens ist uns allen aus Kindertagen bekannt.]

Der Handel Chinas auch mit den Staaten am Persischen Golf, des Nahen und Mittleren Ostens boomt. Seiner Ölversorgung wegen. Aber seit geraumer Zeit, will China dort auch militärische Stärke  zeigen. Die amerikanische Dominanz wird herausgefordert. Nachdem die Kontrolle über Handelshäfen (Gwadar in Pakistan, Djibouti, Port Sudan u. a. m.) gesichert ist, beginnt es damit, sie zu Militärstützpunkten auszubauen. Die Vereinbarungen werden begünstigt durch die Tatsache, dass in den meisten Ländern dort ebenfalls autoritär regiert wird. Die Partner agieren auf „Augenhöhe.“

Eine Waffe, die die militärische Stärke der USA (noch) beweist, sind seine Flugzeugträger. Doch nun ist man sich im Pentagon sicher, dass Chinas Hyperschallrakete bald einsatzfähig ist. China lässt sich nicht auf jahrelanges Wettrüsten ein, das der Sowjetunion zum Verhängnis wurde. Es entwickelt eine Waffe, die der US-Generalität Albträume beschert – weil sie 30 000 km pro Stunde schnell, manövrierfähig ist und so tief fliegt, dass sie von Radar nicht ausgemacht werden kann (Marco Gallina in CATO, Heft 1/2,2020/21).

Chinas Verhalten im West-Pazifik – die Aufschüttung von Inseln, auf die andere Nationen Anspruch haben, ihr Ausbau zu militärischen Stützpunkten  – ist offen militant. Trotz einer gegenteiligen Zusage von Xi Jinping, darauf zu verzichten. Der Staatschef lügt (Der Spiegel, 2021, Nr. 4, S. 14).

Dass China Produktpiraterie im großen Stil betreibt, ist allbekannt. Auch Li Shufu, der Gründer des Geely-Autokonzerns, inzwischen Self Made Billionair, hat sich da hervorgetan. Von der Parteiführung ist er nunmehr aufgefordert, ein Netzwerk chinesischer Technologiegiganten zu knüpfen, um das „Auto der Zukunft“ zu bauen. Daimler Benz darf mitwirken, ist Geely doch seit 2018 mit knapp 10 Prozent an der deutschen Edelmarke beteiligt. Als Hauptgegner sieht man Tesla und VW, das sich seit Anfang der 1960er-Jahren in China engagiert hat. Dieses Vorgehen folgt der Forderung von XI Jinping, dass Privatleute und Privatfirmen sich nicht nur dem Geldverdienen widmen, sondern sich auch der Staatsraison fügen sollen. So wird auch Daimler in die chinesische Einheitsfront eingebunden. [Die schärfste Waffe, die dieser Staat vielleicht hat, ist sein Konsumbedürfnis – zu verlockend für alle Arten von Unternehmern.]

Schlafwandelt der Westen, oder verschläft er die EntwickIung?

Was gibt es für Möglichkeiten, der Gelben Gefahr ( - um dieses Pejorativ in einer Zeit zu gebrauchen, in der sich eine „Gaststätte zum Mohren“ umtauft, um Political Correctness zu beweisen) zu bannen? Wie kann ein totalitärer Staat daran gehindert werden, die Weltmacht zu erobern? Der Mord an Teilen seiner Bevölkerung betreibt; der  ein sensorisches Überwachungssystem instaliert hat, um „Sozialpunkte“ zu geben und zu nehmen; der bei der Einführung einer Digitalwährung am weitesten fortgeschritten ist, was als Beleg dafür zu werten ist, die Überwachungsmöglichkeiten noch weiter auszuweiten?

Die militärische Option? – Die sicher nicht, das würde Weltkrieg bedeuten.

Rotchina mit eigenen Waffen schlagen? In Maos Bibel schauen? Nützte nichts. Denn was Mao in seiner Theorie des Guerillakrieges vor uns ausbreitet, ist raum- und zeitbezogen, eben auf das China der Jahre 1927 bis 1949, wo zunächst War Lords zu besiegen waren, als es einmal mit und dann wieder gegen die Kuomintang ging. Was Maos Konzept der Kriegsführung darlegt, ist eine Summe von Handlungsanweisungen in konkreten Fällen – nicht unähnlich den Direktiven eines CEO in einem kapitalistischen Konzern. Kriegführung als Entdeckungsverfahren – wie sie Friedrich August von Hayek für das kapitalistische Wirtschaftssystem verlangt, damit es nicht in Knechtschaft gelangt?

Also ein laissez faire? Einmal in „Antichinesische Kampagnen“ (Trump) gekleidet oder, indem man Rotchina als „Systemischen Rivalen“ (Joe Biden) bezeichnet?

Vielleicht sollte man die Entwicklung schlicht sich selbst überlassen - zulassen, dass die kleinen Staaten des Westens zum Museum werden, wie Rothenburg ob der Tauber, das jedes Jahr von vielen Tausend chinesischen Touristen durchzogen wird?

Man wird anführen können, dass es sich auch Im Kleinen gut einrichten lässt, wie das viele Länder nicht nur in Europa beweisen.

Warten also, bis der Reichtum in Rotchina auch den letzten Bauern erreicht hat, bis aus Überfluss Übermut, der Freiheitsdrang immer stärker wird – wie jetzt im reichen Honkong? [Brecht: Erst kommt das Fressen und dann die Moral] Walter Scheidel, Gewinner des Oswald Spengler Preises 2020, hat in seinem Buch The Great Leader gezeigt, dass Gesellschaften mit steigendem Entwicklungsgrad zu Ungleichheit neigen und solche Ungleichheit durch Krieg und/oder Revolutionen korrigiert werden. Deutschland ist ein gutes Beispiel dafür: Am 8. Mai 1945 waren wir wieder alle gleich.

China verdankt seine Entdeckung durch den Westen den Portugiesen und dann, zu Ende des 17. Jahrhunderts, britischen Freibeutern, der Mannschaft von Kapitän John Wedell, Repräsentant der Ostindien-Kompanie, der am portugiesischen Macao östlich vorbei und den Perfluss hinauffuhr, um Kanton zu erreichen, sich freischoss und chinesische Behörden bestach. Kanonenboot-Diplomatie in der  frühen Neuzeit.

Dass China sich von solchen Aktionen auch in heutiger Zeit  nicht unbeeindruckt zeigt, beweist ein Vorfall, über den Der Spiegel (Nr. 4 vom 23. 1. 2021, S. 9) berichtet. Joe Biden, 2013 noch Vizepräsident, war nach China gereist, einige Tage nachdem das kommunistische Regime, das in Wahrheit ein faschistisches ist, die Forderung erhoben hatte, dass jeder Pilot der amerikanischen B-52-Bomber, der das Chinesische Meer überfliege,  die chinesische Flugraumüberwachung um Erlaubnis fragen müsse. Joe Biden an Xi Jiping: „Nur dass Sie wissen, dass wir das nicht anerkennen. Punkt.“ China zog die Forderung zurück und begnügte sich mit diplomatischen Protesten.

Ich meine, dass für den Freien Westen (Nord-Amerika, Europa, Australien, Japan und Südkorea, die eine gemeinsame Wertebasis verbindet) eine Politik der Einhegung die erfolgversprechendste ist. Freilich setzt das auch voraus,

  • dass man Russland als Verbündeten gewinnt. Russland im Norden, das eine lange Grenze mit China hat, Russland, das mit West-Europa eine jahrhundertlange gemeinsame Geschichte hat, speziell mit Deutschland, das ungezählte Fürstentöchter für den Zarenthron lieferte. Man könnte mithelfen, Russlands enorme Potentiale zu entfalten. [Bei amerikanischen CEOs ist das Rezept verbreitet: If You Can’t Beat Them Join Them]. – Noch besser wäre es, eine Verbindung zwischen EU und der Eurasischen Union (Russland, Weißrussland, Kirgisistan, Kasachstan, Armenien) herzustellen, um eine Freihandelszone zu bilden von Lissabon bis Wladiwostok.
  • Die Fürsten des Absolutismus , die Bourbonen, Hannoveraner, Habsburger und Hohenzollern gaben vor, eine Balance of Power im Auge zu haben. Ihnen folgend, ist nichts dagegen einzuwenden, Indien, dem natürliche Rivalen Chinas, viel stärker Gunst zu bezeugen als bisher.
  • Die Satelliten-Staaten Chinas im Süden und Osten (geographisch gesprochen), fühlen sich von dem Hegemon bedroht. Sie zu unterstützen heißt, der Über-Macht paroli zu bieten.

Der Westen kann es auch nicht zulassen, dass China in Afrika und Südamerika seine Positionen weiter ausbaut. Ein Dominostein fällt nach dem anderen.

China ist für den Weltfrieden, die Werteordnung aller freiheitsliebenden Staaten die größte Herausforderung, die Herausforderung des 21. Jahrhunderts schlechthin. China, das von den größten Revolutionen der Menschheitsgeschichte – dem Markt und freilich auch dem Kommunismus – kopierend enormen Profit gezogen hat, darf nicht das Gefühl gegeben werden, dass Nachgeben Schwäche ist. Wer nicht will, dass seine Kinder und Enkelkinder sinisiert werden, muss mir zustimmen, dass für Appeasement-Politik ab sofort kein Raum mehr ist. Diesen Standpunkt wird man nicht als Chinese teilen. Doch als europäischer Individualist.

Dr. Axel Glöggler

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