Wirtschaft

Die  Krux mit dem billigen Geld

Eine Umfrage der Europäischen Zentralbank hat ergeben, dass die Bürger die momentanen Niedrigzinsen kritisch sehen. In der Tat: die Zinsen auf Tagesgeld sind unter Null, die für Festgeld bis  5 000 Euro liegen bei 0,15 % und bei Beträgen über 100 000 Euro verlangen immer mehr Banken Negativzinsen; auch für Bundesanleihen bekommt der Sparer nur eine negative Rendite.

In der Umfrage, durch die die EZB-Präsidentin Lagarde die Befindlichkeit der breiten Bevölkerung erfragen wollte und an der knapp 4000 Personen teilnahmen, äußerten mehr als die Hälfte Kritik; nur etwa 10 Prozent waren mit niedrigen Zinsen und der expansiven Geldpolitik, worauf diese beruhen, einverstanden. Die Umfrage- Ergebnisse geben keinen Aufschluss darüber, welche Personengruppen sich hinter den Befürwortern bzw. Gegnern befinden. Doch das ist so augenscheinlich, dass die Frage gestellt werden muss, ob es hierzu einer aufwändigen Umfrage bedurft hätte.

Jene, die (hoch) verschuldet sind, befürworten das niedrige Zinsniveau. Das sind natürlich vorzüglich Unternehmer und unter den Konsumenten jene, die ein größeres Investitionsvorhaben in Angriff nehmen wollen, also zum Beispiel den Erwerb einer Immobilie. Anleger und Sparer klagen indes zurecht. Aber nicht nur der niederen Zinsen als solcher wegen, sondern auch aus Furcht, dass die Geldpolitik inflationäre Tendenzen begünstigt, die Gefahr einer Preisblase hervorruft, die es auf vielen Märkten ohnehin schon gibt: bei manchen Rohstoffen, bei Wohnungen und Häusern, selbst die Frachtraten sind im letzten Jahr stark gestiegen, trotz der Pandemie. Für eine Tonne CO2 werden am Zertifikate-Markt 40 Euro genehmigt, nachdem dieser Preis vor der Coronakrise noch bei 15 Euro lag. Viel spekulatives Geld ist auch hier im Markt, wird ein Händler zitiert. Und auch die Aktienmärkte sind bullish, auf die deutsche Sparer sich ihrer Risikoscheu nur selten bewegen.

All dies ist sehr nachteilig für die Altersversorgung der Bürger. Denn auch die Garantiezinsen auf Lebensversicherungen – der Deutschen traditionelle Alterssicherung - haben sich in den letzten drei Jahrzehnten von etwa vier Prozent per anno auf unter ein Prozent bewegt. Nicht zum Schaden der Lebensversicherungen selbst, die in ihren Depots noch im großen Umfang Staatspapiere mit hohen Zinsen liegen haben. Jetzt ihren Versicherten immer weniger Garantiezinsen zu versprechen, sichert ihre eigenen Erträge.

Die Ursache all diesen Missvergnügens ist die Billig-Geld-Politik der Notenbanken, zu der sie sich seit Jahrzehnten bereitfinden – mehr unter dem Einfluss der Regierungen, als aus eigener Einsicht.

Doch haben sie weder das erreicht, was auch die wenigen Befürworter unter den o. g. Befragten meinen davon erwarten zu können: eine Belebung der Konjunktur, mehr Wachstum und eine Verringerung der Arbeitslosigkeit; noch das von ihnen selbst ausgegebene Ziel: die Inflationsrate auf etwa zwei Prozent  anzuheben, von dem sie sich versprechen, dass die Wirtschaft nicht in die Deflation und Rezession abgleitet. Inzwischen ist man glücklich, mit der Inflationsrate schon leicht über eins zu sein.

Der Reflex dieser absurden Politik, die für mich die Institution Notenbank infrage stellt (vielleicht läuft das tatsächlich auch darauf hinaus mit der Entwicklung hybriden Geldes) sind aufgeblähte Bilanzen der Notenbanken – Notenbanken, die sich mit Staatpapieren vollgesogen haben. Das und die hohe Verschuldung der Staaten ruft bei manchen links orientierten Forschern schon die Forderung hervor, die EZB solle den Euro-Staaten ihre Billionen-Schulden erlassen, fürs erste 2,5 Billionen Euro.

Die Staatschulden werden bei den Zentralbanken, deren Eigentümer die Staaten sind, als Vermögenswerte verbucht. Werden sie erlassen, also „abgeschrieben“, sind entsprechende Verluste bei den Zentralbanken die Folge, die auf die Eigentümer durchschlagen – also von den Steuerzahlern aufgefangen werden müssen. Folgten die Zentralbanken diesen Vorschlägen, wären gutgläubige Käufer von Staatsanleihen mehrfach die Dummen: einmal, weil sie Staatsanleihen gekauft haben, bei denen sie nur sehr geringe oder gar negative Zinsen erhalten; und zum zweiten, indem sie anschließend auch noch durch höhere Steuern bestraft würden.

Vielleicht ist das gar die wahre Intention von Thomas Piketty, der zu den Unterzeichnern des genannten Ökonomen- Aufrufs gehört. Er hat sich im Jahre 2014 durch seine Veröffentlichung Das Kapital im 21. Jahrhundert weltweite Aufmerksamkeit verschafft , wobei er meint nachgewiesen zu haben, dass – durch den „ungezügelten Kapitalismus“ – sich die Einkommens- und Vermögensverteilung zu Lasten des ärmeren Teils der Bevölkerung entwickelt habe. Dem müsse entgegengewirkt werden. Reichtum müsse bestraft werden.

Und in der Tat: wer unter gegebenen Rendite-Umständen Staatspapiere kauft, gehört zum reicheren Teil der Bevölkerung. Große Beträge kann man nicht unter dem Kopfkissen unterbringen, und Safes haben auch ihr begrenztes Volumen. Der „Reiche“ tut das, um seine Liquiditätsüberschüsse so zu parken, dass sie keine Währungsverluste erleiden. Er kauft Dollar-, Euro- oder (wenn er sie bekommt) Sfrs.-Papiere. Vielleicht ist dann gar noch ein Währungsgewinn „drin“, sagt sich der italienische, griechische oder süd-amerikanische Investor.

Die westlichen Zentralbanken können sich nicht freimachen von dem Vorwurf, an diesen unsäglichen Umverteilungsprozessen schuldlos zu sein. Was die Zentralbank Deutschlands, also die Deutsche Bundesbank, deren Ruf bis zum Beginn des Euros untadelig war, im Verein mit ihren französischen Kollegen, denen aus den USA, Japan und dem Vereinigten Königreich, nicht zu vergessen die Banca d‘Italia, seit Jahren betreiben, das ist – mehr oder minder  unverhohlen - Staatsfinanzierung, die Todsünde für Zentralbanken. – Sie lassen sich zum Büttel der Regierungen machen.

Es ist daher kein Wunder, dass sich in Konkurrenz neue, digitale Zahlungssysteme entwickeln, Kryptogeld, als „besseres Geld“, als Antwort auf eine mehr und mehr dysfunktionale Währungsordnung.[1] Die Zentralbanken wehren sich dagegen, vehement. (Die EZB will einen digitalen Euro, für manche Beginn des Weges in den Überwachungsstaat[2]) Doch – was möglich ist, das macht der Mensch.  Vielleicht ist unsere Währungsordnung, unser Geldsystem am Abend seiner Geschichte. Mit ihrer ungezügelten Billig-Geld-Politik haben sich die recht euphemistisch als Währungshüter bezeichneten Geldpolitiker ihr Grube gegraben, in die sie jetzt selbst hineinfallen.

[1] Vgl. auch Julian Dörr und Olaf Kowalski, Digitalisierung und Währungsordnung: Herausforderungen und Perspektiven der Regulierung von Kryptowährungen, in FAZ vom 19. 10, 2018, S. 18

[2] Vgl. Torsten Polleit, in : Degussa Marktreport vom 11. 2. 2021, S. 9 f.

 

Dr. Axel Glöggler

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