Politik

Ernest Hemingway - ein Mörder?

 

Alle Männer erinnern sich ihrer Heldentaten. Besonders derer, die sie gerne begangen hätten. Ist dem nicht so -  haben sie keine vorzuweisen -  muss ein anderer herhalten. Ein Stellvertreter. Als solcher gilt vielen Ernest Hemingway, dessen Leben mit seinem Werk eins ist. Oder umgekehrt. Prall sind sie beide.

Ralf Hochhuth, der uns durch seinen Stellvertreter bekannt ist, beginnt die Würdigung des Schriftstellers mit dem Satz: „Der Selbstmörder Ernest Hemingway war einer der vom Schicksal meistverwöhnten Sterblichen“, und ein paar Sätze weiter gibt er wieder, was man zu Kindeszeiten Hemingways an Bostoner Hauswänden zu lesen bekam: „Das Schicksal ist nur für die Dummen.“

Er, Ernest Hemingway, geboren am 21. Juli 1899 in Oak Parks, Illinois, hat seines in die Hand genommen, auch mit seinem Selbstmord am 2. Juli 1961.

Der junge Mann wusste schon bald, dass er sein Leben dem Schreiben widmen müsse, und auch sein ihn beherrschendes Thema war klar: Krieg, Jagen – nachdem er als Dreijähriger  von seinem Vater eine Angel und mit vier eine Luftbüchse geschenkt bekam. (Nach dem Epos Der alte Mann und das Meer [1952 ] bekam er den Nobelpreis. „But man is not made for defeat. . . A man can be destroyed but not defeated”, lässt Hemingway seinen Helden sagen).

Mit Fiesta (1926) ist er ins Rampenlicht getreten, einem Roman, in dem er Figuren zeichnete, die er in seinen ersten Pariser Jahren kennengelernt hatte. Dabei war er nicht zimperlich, wenn es um die Enthüllung der Schwächen seiner Freunde ging. Die Spitze vielleicht, wie er das Outing von F. Scott Fitzgerald (Der große Gatsby) behandelt, der ihm anvertraut hatte, dass sein Liebesleben nicht in Ordnung sei, weil, wie er meinte, sein Glied zu klein sei. Ernie oder Hem, wie er sich nennen ließ, schlägt ihm vor, sich das auf der Toilette anzusehen und es mit dem Organ einer der Jünglinge  zu vergleichen, die auf Gemälden im Louvre zu sehen sind.

Der Held, wie er sich in nahezu allen seinen Werken stilisiert, muss in Wahrheit oft ein Fiesling, ein Kotzbrocken gewesen sein, wie das Egomanen eben häufig sind. A. E. Hotchner hat ihn zwischen 1948 und 1961 begleitet und ihn weich gezeichnet. Selbst wenn man von dessen freundlichen Worten Abstriche macht, wird man sich nicht dagegen wehren können zuzugestehen, dass er, der Meister, eine Aura hatte. Alle zog er in seinen Bann, seiner Tatkraft wegen, seines  persönlichen Mutes wegen, dass er nie larmoyant war; fleißig war er, diszipliniert, mit einer Tugend ausgestattet, ohne die ein großes, jedenfalls umfangreiches Werk nicht hätte entstehen können –

das auch in vielen Passagen Anleitungen gibt fürs Schreiben schlechthin. Motto des Seminars: How to become a writer. In Miss Stein belehrt, von ihr belehrt, die zu seiner Förderin zählt, heißt es, nachdem er bei ihr, der Lehrerin, war: „Alles was du tun musst, ist, einen wahren Satz schreiben. Schreib den wahrsten Satz, den du weißt. So schrieb ich schließlich einen wahren Satz hin, und von da aus machte ich weiter.“

Unnachahmlich schon die Titel mancher seiner Werke: Tod am Nachmittag oder Der Sieger geht leer aus, Haben und  Nicht-Haben; Wem die Stunde schlägt . . . ja, das klingt!

Dass er auch als Enzyklopädist aufgetreten ist, werden auch gute Kenner seines Werkes nicht sofort parat haben. Tatsächlich macht er, der Liebhaber des Stierkampfes, auf mehr als zehn Dutzend Seiten dem Nicht-Fachmann die im Stierkampf gebräuchlichen Ausdrücke verständlich. Auf dass auch jeder diesen Kampf verstehe!

Auf Poesie hat er sich nie eingelassen. Sein Metier waren der Roman und die Short Story.

Und da gibt es eine, die ich auf dieselbe Stufe stellen will wie Schnitzlers Leutnant Gustl. Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber heißt das Drama. Er versteht es, in die Seele seines Helden hineinzusehen, in seine Qual.

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Die Kunsthistoriker sind sich einig, dass Tintoretto (1518 – 1594)  ein Mörder, jedenfalls ein Totschläger war.

Ist Ernest Hemingway ein solcher?

Fest steht, dass er den Kampf eher gesucht als gemieden hat. Im Ersten Weltkrieg war er Kriegskorrespondent und – als ihm das nicht genug aufregend war – Sanitäter. Er schaltete sich auf Seiten der Republikaner in den Spanischen Bürgerkrieg ein und dann in jenen gegen die Krauts, von denen er mit einem Exemplar, Marlene Dietrich, in platonischer Liebe verbunden war.

Natürlich war er auch in The Battle oft the Bulge, in der Ardennenoffensive, vorne dabei (und, wie er sich rühmte, auch als einer der ersten beim Einzug in Paris). Er begegnete den Deutschen mit Herablassung  – vermutlich weil sie den Ersten Weltkrieg als Verlierer verlassen hatten. Man lese, was Hemingway über seine Skiaufenthalte im Montafon berichtete.

Und dass ich ausgrabe, was es darüber, über seine Teilnahme an diesem Letzten Gefecht, zu berichten gibt, das hängt, kurz vor Hemingways sechzigsten Todestag, mit meiner Gewohnheit zusammen, zu sammeln, was es über Persönlichkeiten, die mich interessieren, zu berichten gibt.

Am 30. Juli 2011 veröffentlichte die FAZ einen Leserbrief von Hanno Graf von Kielmannsegg aus Winsen/Aller, der einem Bericht, einige Tage vorher erschienen, über den fünfzigsten Todestag Ernest Hemingways folgte.

In der Zuschrift des Grafen, ein hochrangiger Soldat der Bundeswehr, dann der Nato, Sohn des gleichnamigen Generals im Dritten Reich, der es honorig abgelehnt hatte, dem Widerstand zugerechnet zu werden, heißt es unter der Überschrift „Ernest Hemingway war ein Mörder“ auszugsweise:

„So hatte ihn (Hemingway) ein gefangener, waffenloser von ihm bedrohter deutscher Soldat auf die Genfer Konvention hingewiesen; darauf Hemingway: ‚Was für einen Fehler hast du gemacht, Bruder, sagte ich ihm und schoss ihm schnell dreimal in den Bauch. Dann, als er in die Knie ging, schoss ich ihm in die Birne, so dass das Gehirn aus dem Mund kam oder ich glaube es war die Nase.‘ In einem anderen Brief (Seite 697 ff.): ‚Der Letzte war ein Soldat der auf dem Fahrrad nach Aachen flüchtete. Ich sagte: ‘Lass mich den nehmen‘ und erschoss ihn mit meiner Mpi. Als sie den Deutschen fanden, war es ein Junge, etwa so alt wie mein Sohn Patrick zu der Zeit. Ich hatte ihm durch das Rückgrat geschossen und die Kugel war durch die Leber herausgekommen.“

Graf von Kielmannsegg zusammenfassend: „ Hemingway war nach allen Regeln des Kriegsvölkerrechts ein Mörder, der nach eigenen Angaben im Zweiten Weltkrieg ‚122 Krauts‘ eigenhändig getötet hat. Und dies, obwohl er 1944 an der Westfront als Reporter für den ‚War Correspondent‘ und nicht etwa als Soldat oder als Combattant eingesetzt war. Einige dieser Mordtaten an deutschen Kriegsgefangenen schildert er in seinen Briefen (‚Selected Letters‘, 1917-1961, Hrsg. Carlos Baker, Charles Scribner’s Sons, New York 1981), deren Veröffentlichung er allerdings testamentarisch streng verboten hatte.“

Habe ich nicht diese ‚Selected Letters‘ in meiner Bibliothek?, fragte ich mich. Doch, hab ich, allerdings nur die deutsche Ausgabe: Ernest Hemingway. Ausgewählte Briefe, 1967-1971. Glücklich wie die Könige, erschienen bei Rowohlt, 1. Auflage April 1984, versehen mit dem Hinweis: „Die deutsche Ausgabe ist im Eivernehmen mit der Ernest Hemingway Foundation gekürzt“.

Richtig, gekürzt. Denn die zitierten Briefe erscheinen auf „S. 697 ff.“ nicht, sie erscheinen nirgendwo, vielmehr nur Liebes-Briefe aus dieser Zeit (1944) „An Mary Welsh“ (seine Frau ab 1946 bis zu seinem Tod), einer vom „13. September 1944“ aus „Hemmers“ (seinerzeit in Belgien, an der deutsch/belgischen Grenze, heute Rheinland-Pfalz), Schlusssatz: „Ich liebe Dich. E. Hemingway, Kriegskorrespondent“.

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Tintoretto konnte sich der Gier nach schönen, weihevollen Gemälde der weltlichen, auch der kirchlichen Oberen, auch des Papstes, erfreuen, die ihn, den Mörder, vor dem Henker schützten.

In der Verlagsbranche ist ein anderes Motiv am Werk, nach   Sex vielleicht der stärkste Antrieb: Geld.

Hier, bei Hemingway, war es Ernst Rowohlt, der ihn vor dem Unmut (der deutschen Leser) schützte, denn auf S. 430 f. der deutschen Ausgabe der Briefe, wie gesagt von Rowohlt herausgegeben, ist ein Brief von Ernest an Ernst vom 18. Dezember 1946 abgedruckt, in dem es unter anderem heißt: „ . . . es freut mich, dass Sie nicht  zu den Krauts gehörten, die wir in der Schnee-Eifel und im Hürtgenwald umgebracht haben . . . teilen Sie mir die Konditionen mit und wann wieder etwas auf deutsch veröffentlicht werden kann    . . . versuchen sie bitte, ein wenig Geld aufzutreiben. Mit herzlichster Zuneigung Ihr alter Gegenkamerad Ernest Hemingway.“

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Hemingway wäre berechtigt ein Opfer der Cancel Culture

ein falsches Wort, und du hast den Stempel. Das ist im Grunde eine Form von Auschwitz (so der 86-Jährige Autor Adolf Muschg dieser Tage im Schweizer Fernsehen)

die in Mode ist und viele Unantastbare ins Fegefeuer wirft. Kant, Ludwig Erhard, Churchill und viele andere, die des Rassismus, des Nationalsozialismus, des Kolonialismus bezichtigt werden.

Soll man nun auch Ernest Hemingway vom Sockel stürzen?

Ich meine, nein.

Das habe ich mir vor Jahren, als es diese unsägliche Strömung noch nicht gab, bewusst gemacht, als ich Joseph A. Schumpeter las, ein bedeutender Nationalökonom des zwanzigsten Jahrhunderts; als ich davon las, dass er faschistisches Gedankengut seinen Tagebüchern anvertraut hatte. Seinerzeit sagte ich mir: Das Werk steht über dem Meister.

Und das gilt fort, gilt auch für Ernest Hemingway, der mich beim Lesen in Welten führt, in denen ich von Mal zu Mal gerne wäre.

 

 

  

 

 

 

 

 

 

 

  

  

 

  

  

 

 

 

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Dr. Axel Glöggler

https://twitter.com/DrAxelGloeggler

 

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