Politik

Nationalismus und Patriotismus

Mit einer Militärparade hat Griechenland am 25. März 2021 den Beginn der Unabhängigkeitsrevolution gegen das Osmanische Reich vor zweihundert Jahren gefeiert. Zu sehen war auch die Präsidialgarde in ihren weißen Röcken und bestickten Westen.

Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis sagte bei dieser Gelegenheit, dass Griechenland bei „den schweren Prüfungen der Menschheit stets auf der richtigen Seite gewesen sei.“ (Nationalismus pur, die Erhöhung der eigenen Nation ?). „Das gibt uns die Kraft“, fuhr er fort, „in die Vergangenheit zu schauen, stolz auf die großen Schritte der Nation zu sein, aber auch aus den verpassten Möglichkeiten zu lernen.“[1]

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In englischen Elementary Schools auch noch der 1920er Jahre tritt der Rektor vor die neu-eintretenden Schüler: „St. Bede’s ist keine Schule für die Zaghaften. Also beherzigen Sie stets die Wort des großen Cecil Rhodes[2]: ‚Wer das Glück hatte, als Engländer geboren zu sein, hat das große Los in der Lotterie des Lebens gezogen.‘“[3]

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1800, im Zweiten Koalitionskrieg, siegten Napoleon bei Marengo und sein Feldherr Moreau bei Hohenlinden gegen die Österreicher, das über lange Zeit durch die Habsburger den Kaiser stellte. 1801 wurde der Frieden von Lunéville abgeschlossen, in dem Österreich bestätigte, dass das linke Rheinufer an Frankreich abgetreten bleibe. – Eine Zeit des Friedens in Deutschland zeichnete sich ab, was Göschen, den Verleger Friedrich Schillers, veranlasste, den Dichter zu bitten, ein Festgedicht zu verfassen. „Aber Schillers Ahnung, dass in diesem Frieden das Deutsche Reich eine schändliche Rolle spiele, erfüllte sich  . . . . Diese Ereignisse sagten ihm, was schon die Französische Revolution [4] gesagt hatte: daß nicht von der politischen Entwicklung das Heil zu erwarten sei. ‘Freiheit ist nur in dem Reich der Träume, und das Schöne blüht nur im Gesang!‘

Eine gewaltig erweiterte Gestaltung sollte dieser Gedanke in dem großen Gedicht erhalten, von dem nur eine Prosaskizze mit angefangenen Versifikationen überliefert ist: ‚Deutsche Größe‘“[5], in dem Schiller die Frage stellt: „Darf der Deutsche in diesem Augenblick, wo er ruhmlos aus seinem tränenvollen Kriege geht, wo zwei übermütige Völker ihren Fuß auf seinen Nacken setzen und der Sieger sein Geschick bestimmt – darf er sich fühlen? Darf er sich seines Namens rühmen und freun? Darf er sein Haupt erheben und mit Selbstgefühl auftreten in der Völker Reihe? – Ja, er darf’s! Er geht unglücklich aus dem Kampf, aber das was seinen Wert ausmacht, hat er nicht verloren. Deutsches Reich und deutsche Nation sind zweierlei Dinge. Die Majestät des Deutschen ruhte nie auf dem Haupte seiner Fürsten. Abgesondert von dem politischen hat der Deutsche sich einen eigenen Wert gegründet, und wenn auch das Imperium unterginge, so bliebe die deutsche Würde unangefochten . . .“[6] /[7]

Gedichte oder Balladen solcher Art, wie sie von deutschen Dichtern und Denkern vorgetragen wurden, betrachtet man heute als Entgleisung. Mich würde nicht wundern, wenn auch das Dicht-Fragment von Schiller alsbald auf den Index der Gutmenschen käme. Jener jedenfalls, die die deutsche Geschichte auf zwölf Jahre reduziert sehen.

Welcher deutsche Politiker würde heute eine Feststellung wagen wie der griechische Ministerpräsident?, sich der Diktion des Rektors einer Höheren Schule in England anschließen? Die Worte von Schiller in den Mund nehmen?

Wir leben in Zeiten „vorbeugender Zensur“, sind vom „Nationalservilismus“ und „Schlafmützentum“ durchdrungen. Ach lebte Heinrich Heine doch noch![8]

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Derzeit wird die Debatte beherrscht von dem Vorschlag der Künstler Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah, in Deutschland  den Begriff „Menschen mit Nazihintergrund“ einzuführen[9], was nicht nur in den Sozialen Medien auf begeisterte Zustimmung stieß und auch von „seriösen Medien Unterstützung erhielt. . . In der ‚Zeit‘ und im ‚Spiegel‘ warben die Initiatoren in breiten Interviews für ihre Idee. Zuvor schwärmte die ‚Zeit‘-Autorin Jule Hoffmann von der Idee, die ihr als ‚identitätspolitische Kategorie‘ sofort einleuchtete. Sie tauge ‚wunderbar als Label‘, um das Deutschsein  ‚erst einmal sichtbar und spürbar zu machen‘ und um ’endlich ein Bewusstsein  (zu) entwickeln für die Verantwortung, die wir tragen‘“, wie der Historiker und  Erziehungswissenschaftler Meron Mendel, der auch Mitherausgeber des Sammelbandes ‚Trigger Warnung – Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen, erschienen 2019 im Verbrecher Verlag (sic !) ist,  in der FAZ vom 22. März 2021 festhält und meint resümieren zu können, dass die „deutsche Erinnerungskultur derzeit einen Umbruch (erlebt)“.

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Mit Verlaub, ich folge Herrn Mendel dabei nicht.

Respekt und Menschenrechte sind Güter höchsten Ranges. Meinungsfreiheit ebenso. Sie sollte aber nicht nur von den bei uns Aufgenommen eingefordert werden dürfen, die nun mit Unterstützung mancher Mainstream-Medien exzessiv davon Gebrauch machen; sondern auch von denen, die sich, wie ich, gegen Identitätspolitik von Rechts oder Links wenden. Denn diese Politik ist “ein ätzendes Gift. Es zersetzt die Gesellschaft:“[10]

Mit diesem Recht sage ich, ich bin von Deutschlands Größe überzeugt. Und  stolz, ein Deutscher zu sein. Patriotismus nenn ich das.

Dr. Axel Glöggler

https://twitter.com/DrAxelGloeggler

[1] Aachener Nachrichten vom 26. 3. 2021, S. 4

[2] Cecil Rhodes, 1853 – 1902, war Gründer des De Beer-Diamanten-Monopols und der BSAC der British South Africa Companie. Von Rhodes gibt es eine Karikatur, die ihn in ausgreifender Feldherrenpose mit Untertitel Von Kairo bis Kapstadt zeigt. Bekanntlich wurde nach dem Kolonisator ein Staat benannt: „Rhodesien“

[3] Jeffrey Archer, Spiel der Zeit, München, 2011, S. 60

[4] Schiller war ursprünglich (wie Hölderlin) ein Sympathisant der Ideen der Französischen Revolution. Seine Werke waren jenseits des Rheins bekannt, besonders sein Räuber. Als Monsieur Gillé wurde er bezeichnet, da sich die Franzosen mit dem „Sch“ am Beginn seines Namens schwertaten.

[5] Fritz Strich, Schiller. Sein Leben und Werk, in Tempel Klassiker, Leipzig, o.J., S. 399 f.

[6] Tempel Klassiker. Schillers Sämtliche Werke, Leipzig, o. J., Erster Band, S. 508

[7] Kaiser Franz II. legte am 6. August 1806 auf ein Ultimatum Napoleons hin die römisch-deutsche Kaiserwürde nieder. Dies bedeutete das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. – Schiller war da bereits gestorben (Todestag 9. Mai 1805).

[8] Otto A. Böhmer, Heinrich Heine. Sein Leben erzählt von Otto A. Böhmer, Zürich, 2005, S. 90

[9] Vgl. hierzu auch meinen Blog Charlie Hebdo vom 9. 3. 2021

[10] Eric Gujer, Der andere Blick, in:  NZZ vom  12. 3.2021

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