Umwelt und Gesellschaft

New Wave - Eine neue Welle?

Nikolai D. Kondratjew (* 1892) war ein russischer Ökonom, der uns vor allem durch seine auf Beobachtungen basierende  Theorie der langen Wellen bekannt ist. 1920 wurde er Direktor des in Moskau neu gegründeten Konjunkturforschungsinstitutes, vermutlich, weil er  begeistert an der Russischen Revolution teilgenommen hatte.

Gleichwohl befürwortete er marktwirtschaftliche Instrumente, um die darniederliegende Wirtschaft seines Landes wieder aufleben zu lassen.

Für die Landwirtschaft, für leistungsstarke Betriebe, forderte er Subventionen, und für andere, schwächere, schlug er vor, sie in Genossenschaften zusammenzuführen.

Auch der Import ausländischen Kapitals stand auf seiner Vorschlagsliste.

All das aber stand im krassen Widerspruch zu den Vorstellungen Stalins, der nach Lenins Tod einen streng planwirtschaftlichen Kurs diktierte, in Folge dessen er Hunderttausende von Kulaken[1] niedermeucheln ließ. Kondratjew sah sich in dieser Zeit des aufsteigenden Stalinismus dem Vorwurf ausgesetzt, den Kapitalismus einführen zu wollen. Ein Vorwurf, der nicht unberechtigt war, denn Kondratjew war historisch geschult und kannte dessen Erfolge - im Westen.

Seine Absetzung im Jahre 1928 war die Folge und die Schließung seines Instituts.

Zwei Jahre später, 1930, wurde er verhaftet und nach acht Jahren, 1938, von einem Militärgericht zum Tode verurteilt.

Und noch am selben Tag erschossen.

Ein wahrer Held der marktwirtschaftlichen Idee! - Der auf seine Rühmung wartet wie manche andere Protagonisten der Marktwirtschaft, zum Exil Verdammte, wie etwa „mein Liebling der Marktwirtschaft“, Wilhelm Röpke, der als einer der ersten 1933 unter den Nazis seinen Lehrstuhl verlor.

Kondratieffs Theorie, nach der sich das wirtschaftliche Geschehen in langen, 45 bis 60 Jahre andauernden Zyklen abspiele, beginnend mit der Industriellen Revolution, lebt fort.

„Heute“, meint Helge Hesse 2003, Verfasser des Ökonomen-Lexikons  dieses Jahres , auf S. 183 f., in seinem Artikel über Kondratjew, „befindet sich die Weltwirtschaft im ‚fünften Kondratjew‘, geprägt von der Informationstechnologie und Informationswirtschaft“  - übereinstimmend mit Nefiodow, der 1990 eine profunde Monografie über Leontieff und seine Theorie lieferte mit Strategien zum Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft, wie es im Untertitel seines Buches Der fünfte Kondratieff heißt[2].

Hans-Jörg Naumer, Leiter der Kapitalmarktanalyse von Allianz Global Investors, greift Kondratjew (auch so wird er geschrieben) wieder auf und sieht uns am Beginn eines sechsten Zyklus, als deren Ursache er den notwendigen Umbau der Weltwirtschaft in Richtung auf eine ökologisch orientierte ansieht.

„Die Umwelt ist ein knappes Gut geworden“ sagt er in der ihm eigenen volkswirtschaftlicher Diktion. Sie könne nicht mehr kostenlos verbraucht werden; und er sieht bei der Finanzierung des Umbaus auch die Zentralbanken in der Pflicht, deren Politik, ihre Billig-Geld-Politik, möchte ich hinzufügen, zu einer „Zombie-Finanzierung der Unternehmen führt“, also dazu, Unternehmen am Leben zu halten, die den Zug der Zeit verpasst haben. Zombies, sie leben fort. (Vgl. FAZ vom 18. 3. 2021).

Interessant für mich an der Argumentation von Hans-Jörg Naumer ist seine starke Betonung der Demographie, von der man ansonsten in der einschlägigen politischen Diskussion wenig bis gar nichts hört oder liest.

„Die Weltbevölkerung entwickelt sich mit Wucht“ ist ein Bericht von statista überschrieben ( abgedruckt in der FAZ vom 28. 12. 2020), worin aufgezeigt wird, dass sich die Weltbevölkerung seit dem Zweiten Weltkrieg mehr als verdreifacht hat, von damals zweikommafünf Milliarden  auf nunmehr knapp acht Milliarden Menschen. Ende dieses Jahrhunderts würde sie auf zehnkommaneun Milliarden Menschen steigen, so der Trend.

Die Erderwärmung nun – soweit sie auf menschliches Tun zurückzuführen ist – lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Bevölkerungswachstum mal Kapitalismus.

Adam Smith, Moralphilosoph, hat uns die Motivation menschlichen Handelns nahegebracht, soweit sie sich auf Ökonomisches bezieht: Ich ziehe aus der Lektüre seiner Schriften den Schluss, dass es der Eigennutz sei, oder, wie man auch sagen kann: das Bedürfnis reich zu werden. Das bewegt die Menschen aller Ethnien und aller Orten. Und zusammen mit bestimmten Organisationsformen, der Arbeitsteilung zum Beispiel; der Nutzung der Natur- und der  Technikwissenschaften; dann noch – last but not least – der Rechtsstaatlichkeit, schaffen sie es auch.

Das hat Wealth of Nations (Smith’s  Buch hat 1776 das Licht der  Welt erblickt), den Wohlstand der Nationen hervorgebracht. Oder, bescheidener ausgedrückt, die Menschheit vor dem Verhungern bewahrt, was ein anderer Sozialphilosoph, der Pfarrer Thomas Robert Malthus, prognostizierte: Die Menschheit würde sich alle fünfundzwanzig Jahre verdoppeln, die Nahrungsmitteproduktion aber könne diesem Wachstum nicht folgen, meinte Malthus, der Dystop.

Bekanntlich kam es anders: Immer mehr Menschen sind auf der Erde aufgetaucht. Die Bevölkerung wuchs stetig. Aber relativ dazu fiel der Anteil der Menschen drastisch, die sich nicht ausreichend ernähren können, derzeit geschätzt 800 Millionen Menschen.

Malthus (1766 bis 1834) musste sich um Ökologie noch keine Gedanken machen, über social costs, als die wir die Umweltschäden bezeichnen, die keinem Einzelnen oder einer kleinen Gesamtheit, einer Firma etwa, zugerechnet werden können.

Mit Nutzung der kapitalistischen Errungenschaften aber haben wir das Problem. Die ökologischen Fußabdrücke sind da. „Die Situation ist da“, wie Adenauer einmal sagte. Aber sie wäre auch „da“, wenn wir die CO2-Emissionen drastisch senken könnten. Das Bevölkerungswachstum steht dem entgegen, alle CO2-Einsparungen werden infrage gestellt.

Über die Drosselung des Bevölkerungswachstums aus ökologischer Sicht zu sprechen, davon habe ich noch nichts gelesen.[3] Das scheint ein Tabu zu sein. Nicht nur für die Kirche, die auf das biblische Mehret Euch! nicht verzichten will.

Malthus hat seine Thesen mehrfach revidiert, neueren Erkenntnissen, auch seinen, angepasst. Seine Forderung nach einer Geburtenkontrolle für Länder mit starkem Bevölkerungswachstum ist aber nach wie vor aktuell, wenngleich ich sie von den Teilnehmen des Kyoto- oder des Paris-Abkommens (1997 bzw. 2016), so deutlich jedenfalls, noch nicht vernommen habe. Jedenfalls nicht in diesem Zusammenhang!

Nigeria wäre der Haupt-Adressat einer Geburtenkontrolle, wie der Kontinent Afrika  überhaupt. Er ist, wenn man zeitpunkt-bezogene Prognosen als gültig annehmen will, wogegen sich mein wissenschaftstheoretisches Gewissen sträubt, der „Haupt-Verursacher“ der Wachstumsexplosion. Oder der Umweltbelastung, wenn man meiner These: Kapitalismus mal Bevölkerungswachstum . . . folgen will.

Nigeria, heute ein Staat mit etwa 200 Millionen Menschen, der Ende des 21. Jahrhunderts 791 Millionen Menschen beherbergen und ernähren müsste, während China – neben Indien das bevölkerungsreichste Land der Erde -  auf dann 732 Millionen (!) und damit auf den dritten Platz zurückfiele. Es wäre also quasi ein ökologischer Wohltäter.

Herrn Naumer, dem Finanz-Analytiker, möchte ich nicht widersprechen, dass „Die Ökologie“ cum grano salis Wachstumstreiber werden und einen neuen Kondratieff-Zyklus einleiten kann. Ein für Deutschland positiver Ausblick, das nach meiner Einschätzung auf vielen ökologisch relevanten Gebieten gut aufgestellt ist.

Wichtig ist mir noch, auf die regulativen Kräfte, auf die Intelligenz der Menschen hinzuweisen, auf diese zu vertrauen, die es bisher immer geschafft hat, auch existenz-gefährdenden Herausforderungen zu begegnen: Seuchen, hunger-induzierten Völkerwanderungen, aufgezwungen Loyalitäten der Religionsstifter oder anderen Despoten . . .

Wir sollten eine Neue Welle begrüßen, selbst wenn diese in Grün gekleidet ist. Zu befürchten ist nur, dass die Grüne Programmatik, unterlegt mit Forderungen nach mit einem 500 Milliarden Investitions-Programm, zu allzu vielen Einschränkungen der individuellen Freiheit, zu vielen Verboten, zu Gängelung führt: vom Tempolimit über das gänzliche Verbot von Verbrennungsmotoren und Kurzstreckenflügen, zur Beschränkung des Einfamilienhausbaus und so weiter und so fort.

Zu wünschen ist uns, dass die grünen Heilsstifter die nicht verprellen, die für unseren Wohlstand hauptverantwortlich sind: Die Unternehmer, die verkannte Elite.[4]

Dr. Axel Glöggler

 

[1] Relativ wohlhabende, selbständige Bauern

[2] Der erste Kondratieff, der mit der Industriellen Revolution, Ende des 18. Jhrdts. begann, wird vom zweiten, in dem Eisenbahn und Stahl dominieren, abgelöst, im dritten kommen Chemie und Stahl zur Geltung, und im vierten bestimmen das Erdöl und das Auto. Vgl. Leo A. Nefiodow, Der fünfte Kondratieff, Wiesbaden und Frankfurt am Main, 1990, S. 27

[3] Frau Gabriele Seppe macht mich allerdings auf die Schrift von Verena Brunschweiger, Kinderfrei statt kinderlos, Ein Manifest (gegen das Kinderkriegen), 2019, aufmerksam. Brunschweiger begründet ihre Position u. a. mit dem Klimaschutz.

[4] Vgl. hierzu auch mein Buch, Unternehmer – Verkannte Elite? Hildesheim-Zürich-New York, 2009

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